Freitag, 26. Mai 2006

Lass Mich Schlafen

Ich lese gerade, vielleicht einige Jahre zu spät, Soloalbum von Benjamin v. Stuckrad-Barre. Dafür hab ich den Film damals im Kino gesehen und vor einer Weile ja auch noch mal im Fernsehen. The killer in me is the killer in you, und so. Der Ich-Erzähler liebt ja bekanntlich Musik und er fühlt sich auf dem Hamburger Hauptbahnhof zu Hause, wobei er nicht richtig weiß, was das ist. Dort kauft er sich gerne Platten. CDs, die er bisher nur auf Vinyl hat oder solche, die er verliehen hat. Dann geht es ihm kurz besser.
Nach Einschlafproblemen wegen meines koffeinhaltigen Exzesses am Vortag, dann schließlich doch fünf Stunden Schlaf mit unerklärlichem, weil unnötigen, Ende und dem Gedanke an den gefallenen Engel im Traum, merke ich schon, das wird ein komischer Tag. Ich warte in der Badewanne auf den Beginn von Sturm der Liebe. Dabei wollte ich doch endlich mal was Sinnvolles tun. Aber ich bin wach müde oder müde wach und traue mich nicht, mich selbst zu ohrfeigen, um das zu beenden. Mit dem Bus fahre ich in die Stadt, gehe dort durch den Nieselregen, will mir auch eine Platte kaufen. Für drei Euro erwerbe ich den Miasong. Wie beeinflussbar ich doch bin. Aber das soll nur der Nachtisch sein. Mein eigentliches Ziel, der Hauptgang, ist es, endlich mal was von Rio Reiser im Regal stehen zu haben und ich nehme einen Balladen-Sampler von ihm mit. Darauf entdecke ich am Abend:


Lass Mich Schlafen (Rio Reiser)

Lass mich schlafen, lass mich ruhn.
Ich bin müde und hab nichts zu tun.
Die Welt soll warten bis ich komm.
Ich bin hier in meinem Dschungelbuch,
ich lauf ja nicht davon.
Sieben wilde Löwen und ein kleines Schaf
lassen niemand zu mir, der nicht zu mir darf.
Simsalamander, Simsalabim.
Ich kann wieder zaubern, rat mal, wo ich jetzt bin.

Und jedes Molekül bewegt sich.

Habe eben den neuen Song von Mia gesehen und Lust auf mehr. In jeglicher Hinsicht.

Drei mal Drei macht Vier, widde widde wid, und drei macht Neune, ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt

Als ich mich ins Bett lege zeigt der funkbetriebene Wecker 12:59 an. Kosmische Störungen? Ich entferne die Batterie, und leg sie wieder ein, um ihm die Chance zu geben, sich neu zu orientieren, ein Zeichen zu empfangen.
Gerade noch pünktlich um 18:47 bin ich zu meinem Date zu Hause. Die drei nachmittäglichen magischen K’s Kekse, Kuchen und Kaffee liegen hinter mir. Mit drei Psychologiestudentinnen. Drei Tassen Kaffee schwimmen durch meine nicht koffeingewöhnten Venen. DerB steht mit einer Säge vor meiner Tür und hilft mir dabei, mein eigenes Fahrrad zu klauen. Hätte er es nicht geschafft, hätte ich Papa gefragt. DerB kommt ins Schwitzen. Er tut es gern für mich. Nach getaner Arbeit zeige ich auf ein Auto und meine zu ihm, da steht mein Wagen, auch dessen Schlüssel hab ich verloren. Er lacht. Das hab ich so geplant. Für später hat er geplant, dass wir in einem typisch kitschigen chinesischen Restaurant sitzen. Er bei Ente süß-sauer und ich auf der Suche nach den Tofu-Stücken in meinem Gemüse, der alten Zeiten wegen. Die Themen unserer Konversation sind mir abhanden gekommen, dabei haben wir viel geredet, ich hab Fragen gestellt und Fragen beantwortet. Kaffeerausch. Immerhin essen wir mit Stäbchen, um die Sache authentischer zu machen. Als wir satt uns gut genährt gegenüber sitzen, sagt er, er findet es blöd, getrennt zu zahlen und daher würde er die Rechnung gern übernehmen. So wurde es bei Keksen, Kuchen und Kaffee prophezeit und ich bin froh. Den roten Kakadu im Kino zahle ich. Während ich dem Mauerbau bei Rock’n’Roll und süffigen sexuellen Phantasien mit Spreewälder Gurken entgegenfiebere, beobachte ich, ob er meine Hand nimmt. Keine Annäherungsversuche, keine Konsequenzen. In seinem sportlichen BMW, Geld ist wichtig, dessen Beifahrertür er mir gentlemenlike aufhält, fährt er mich nach Hause. Ich hasse Verabschiedungen im Auto. Er wohl auch, denn er bringt mich noch zur Tür. Am Nachmittag bekam ich den Ratschlag, ich solle denB heute mal ranlassen, er ist doch so nett zu mir. Mir die Panik nicht anmerkenlassend bedanke ich mich brav fürs Klauen, Essen, Rumchauffieren und den Wein. Er würde es wieder tun, sagt er und zwinkert dabei. Üben Jungs diese Gesten eigentlich vorm Spiegel? Mit einem Tschüß, einen schnellen Kuss auf den Mund, der mir alle Türen offen hält, aber nichts unterschreibt, verschwinde ich in der Haustür. Im Treppenhaus lese ich noch mal die SMS vom gefallenen Engel, die ich nach dem Film schon heimlich auf Toilette gelesen habe. Er hofft, mich im Grufticlub zu sehen. Ich tausche mein Oberteil gegen ein Schwarzes, ziehe mir den Lidstrich nach und schleiche mich davon, als wären meine schlafenden Eltern im Nachbarzimmer und der Diskobesuch für mich tabu. Auf dem Weg zum Club spreche ich den Psalm „Ich bin ein schlechter Mensch.“ elfmal laut hintereinander aus. Als mir der junge Soldat mit einem zum Peacezeichen geformten Gruß in der Hand zuwinkt, hab ich mich mit dem Zustand abgefunden und lasse Teil eins des Abends mit seinen Druck und seinen Erwartungen hinter mir. Ich erkundige mich beim jungen Soldaten nach seinen Schafen im Internetforum. Das ist viel Arbeit sagt er mir und er habe schon Kopfschmerzen. Zum Gespräch mit seinen Kumpels zum Thema Kindheitscomichelden fehlt mir das nötige Know-how und ich suche den gefallenen Engel. Er hatte einen schönen Tag und noch immer gute Laune. Manie. Schließlich kann er ja nicht immer den Kummer der Welt auf seinen Schultern tragen. Dafür trägt er diese Art von Lederjacke, die mich willig macht. Lächelnd fährt er mir durchs Haar und hält meine Hand. Ich freue mich und habe vergessen, dass ich ein schlechter Mensch bin. Noch immer im Kaffeerausch verhalte ich mich weiter kommunikativ und unterhalte mich mit einem Rollenspieler, der auch viel Kaffee getrunken zu haben scheint. Ausführlich unterrichtet er mich zum Thema Rollenspiele, über solche, die man nur redend spielt, aber auch über die Livevarianten. Einmal bekam er am siebten Tag einen Lagerkoller, verzog sich mit ner Kiste Wein im Wald, um nach seinem Rasch wieder als er selber aufzuwachen. Aber das alles macht Spaß, erklärt er begeistert auf orkisch. Und ein weißer Medizinmann sei er auch. Im wirklichen Leben hat er lange Haare. Die waren mal viel länger. Mit neun beschloss er, sich die Haare nicht mehr schneiden zu lassen. Als er zum Bund einberufen wurde, gingen sie ihm bis zu den Kniekehlen. 1,5 Kilogramm. Nach dem Schnitt hatte er körperliche Schmerzen und musste für sechs Monate zur Physiotherapie, um seine Nackenmuskeln an die neue Situation zu gewöhnen. Seine Haare liegen heute in einer Plastetüte verpackt im Gemüsefach seines Kühlschrankes. Einmal im halben Jahr wäscht und pflegt er sie und manchmal trägt er sie als Haarverlängerung. Heute nicht.
Später, ich weiß nicht, wie es kam, unterhalte ich mich mit einer Punkerin und komme schon wieder aus dem Staunen nicht mehr raus. Sie gibt mir einen Crashkurs in Punkto Jugendkulturen. Punks, Oi Punks, Oi Skins, Psychobillies, andere Billies usw. Signifikante Klamottenmerkmale, Ansichten, politische Befindlichkeiten und Tanzstile. Ich staune noch weiter, als sie mir von ihrem drei Monate alten Sohn erzählt, Sid, wie der von den Sex Pistols, ich verstehe.
Schon wieder die Drei. Sind alle guten Dinge Drei? Es war das vierte Date mit demB, da doch auch nach dem dritten für ihn alles gut und versprechend aussah. Drei Nächte mit dem gefallenen Engel neben mir. Nummer vier heute nicht. Etwas bin ich enttäuscht. Die Lederjacke.
Ich spaziere nach Hause durch die Nacht, munter. Auf dem Handy lese ich die SMS vomB, in der er sich für den schönen Abend an meiner Seite bedankt und mir schöne Träume wünscht. Simsalabim und dreimal schwarzer Kater. Das war keine Zauberei, sondern klar. Ich lege mich ins Bett, in einer falschen Zeit. Und drei Minuten später beginnen die Vögel zwitschernd ihren Tag.

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